Während die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland noch fast zwei Jahre brauchten, bis sie die Logen erledigt hatten, dauert das fünf Jahre später in Österreich nach dem Anschluss der kleinen Republik an das Hitlerreich nur noch wenige Tage. Fünfundsiebzig Jahre später gedachte ZEIT&MASS, das Mitgliedermagazin der Großloge von Österreich, der schrecklichen Märztage des Jahres 1938 und des Schicksals der österreichischen Freimaurer jener Zeit. Auszüge von Rudi Rabe, angereichert mit Hintergrund am Beginn.

Rückblick: Österreich 1918 bis 1938

Die Habsburgermonarchie im Herbst 1918, bis dahin nach Russland der zweitgrößte Staat in Europa, zerfällt in seine Einzelteile. Und „der Rest ist Österreich“: So soll sich der französische Premier Clemenceau ausgedrückt haben. Jeder denkende Mensch fragt sich, ob die französischen Politiker vergessen hatten, wie billig der hochintelligente österreichische Kanzler Metternich Frankreich beim Wiener Kongress davonkommen ließ. Er wusste, wenn er Frankreich filetieren würde, wäre der Frieden nur von kurzer Dauer, viel wichtiger war im die internationale Abschaffung der Sklaverei. Dieser Rest muss damit fertig werden, dass er im Gegensatz zu den anderen Nachfolgestaaten nicht an sich selbst glaubt. Kein Wunder, dass viele Österreicher das Heil in einem Anschluss an das immer noch große Deutsche Reich sehen, mit dem sie sich geschichtlich, kulturell und sprachlich verbunden fühlen. Aber das wird ihnen durch die Pariser Friedensverträge verboten. Sogar der Sozialdemokrat Karl Renner stimmte für den Anschluss.

So kämpft sich die kleine Republik nach 1918 durch die Jahre. Zuerst geht es ein bisschen aufwärts, dann ab 1929 wieder steil abwärts hinein in die Katastrophe der Weltwirtschaftskrise.

Bundeskanzler Dollfuss wird 1934 bei einem Nazi-Putschversuch ermordet, unter seinem Nachfolger Kurt Schuschnigg geht es dann noch vier Jahre weiter, in all diesen Jahren ist die Freimaurerei nicht verboten.

1938 ist Schluss: Hitler fühlt sich jetzt international und militärisch stark genug, in Österreich einzumarschieren und das Land als Ostmark an Nazi-Deutschland anzugliedern. Die österreichische Freimaurerei wird schlagartig und brutal abgedreht.

Adolf Hitler will Österreich kassieren. Er setzt die Wiener Regierung unter Druck. Als Reaktion verfügt Bundeskanzler Schuschnigg für den 13. März eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs. Das fürchtet Hitler, und so eskalieren die Verhältnisse Anfang März.

11. März: Großbeamtenrat unter Vorsitz des schwerkranken Großmeisters Richard Schlesinger. Es sollte der letzte sein. Während noch die politische Lage diskutiert wird, überbringt der Sohn des Großmeisters die Nachricht, dass Schuschnigg im Radio die Volksabstimmung abgesagt hat: „Wir weichen der Gewalt“. Österreich kapituliert: Um Mitternacht ernennt Bundespräsident Miklas eine Regierung unter dem Nazi Seyss-Inquart. Dieser bittet Hitler um „Hilfe zur Aufrechterhaltung der Ordnung“.

12. März: In der Nacht beginnt der deutsche Einmarsch. – Um 3 Uhr früh wird Großsekretär Wladimir Misar telefonisch verständigt, dass das Logenhaus Dorotheergasse 12 (eines von mehreren) von einem Nazi-Mob belagert werde und die Polizei die Schlüssel verlange, um die Räume zu beschlagnahmen. Nach Rücksprachen gibt er die Schlüssel frei. Leiter dieser Aktion Adolf Eichmann.

13. März: Nazi-Beamte kommen in die Wohnung Richard Schlesingers und verlangen die Herausgabe des Vermögens der Großloge. Der Großmeister beauftragt den Großsekretär, den Anordnungen in den Logenräumen Schwindgasse 8 zu folgen. Wenn Misar dort eintrifft, sind die Räume bereits durchsucht worden. Kein Wunder: Das Haus gehört einem NS-Rechtsanwalt. Der Großsekretär wird verhört: Namen der Logen und der Mitglieder.

14. März: Verhöre der Stuhlmeister, der Sekretäre und Schatzmeister bis in die Morgenstunden: Beschimpfungen, Verdächtigungen, einige werden verhaftet. Die Gestapo sperrt Logenräume und beschlagnahmt deren Inhalt.

16. März: Der Großmeister kann nicht mehr an der von ihm kurzfristig einberufenen Stuhlmeisterkonferenz teilnehmen: Die Gestapo verhaftet ihn um 7 Uhr in seiner Wohnung; ebenso in dessen Wohnung seinen Sohn Hans (dieser muss bald danach das Land verlassen). Die Polizei bestellt die Logenbeamten ins Logenhaus Schwindgasse. Alle Finanzmittel müssen abgeliefert werden, Loge für Loge: von 18 Schilling (Loge Eintracht) bis 113.513 Schilling (Loge Zukunft).

17. März: Drei SSler beschlagnahmen im Logenhaus Dorotheergasse Bargeld, Sparbücher und Wertpapiere der Großloge im Wert von 10.192 Schilling; außerdem Scheckformulare, Versicherungspolizzen, Kanzleiakten und Bürogeräte.

21. März und Folgetage: Hausdurchsuchungen in den Wohnungen von Großsekretär Misar und der Stuhlmeister: Korrespondenzen und Bücher werden beschlagnahmt. Misar kann „weil er Arier“ ist und „solange er Auskunft erteilt“ der Verhaftung entgehen. In den nächsten Monaten sollten immer wieder Verhöre mit immer wieder denselben Fragen stattfinden. Kontakte der Brüder untereinander werden verboten. Der Großsekretär wird angewiesen, freimaurerische Briefe aus dem Ausland der SS vorzulegen.

23. März: Aus einer SS-Aktennotiz über Durchsuchungen bei führenden Mitgliedern des AASR („Schotten“): „Nach kurzer Durchsicht kann gesagt werden, dass es sich hier um sehr gutes Material handelt, aus dem bedeutende Aufschlüsse über die Personenzusammensetzung der Obersten Räte der Welt gewonnen werden können.“ (Viele Nazis glaubten, dass der AASR die Fäden der Welt in der Hand halte).

15. April: Offizielle Auflösung der Großloge.